Das Museum der Stadt Bad Arolsen zeigt Schlösser und Hofschranzen von einem fernen Planeten
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Schrullige Herrscher im Miniaturformat
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Irgendwie schrullig und verrückt und doch genial. So lässt sich die ungewöhnliche Ausstellung beschreiben, die noch bis zum 2. Oktober in der Galerie im Schloss zu bestaunen ist. Die beiden Thüringer Künstler Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf haben ihre eigene kleine Welt geschaffen und lassen die große Welt daran teilhaben.
Unter dem Titel "Schlösser der gepriesenen Insel" zeigen die beiden im Herzen jung gebliebenen Mitt-Sechziger Architekturen und Szenen en miniature aus der Zeit des Rokoko. Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf, der eine Restaurator für Gemälde, der andere Zeichner und Bühnenbauer, haben imaginäre Königreiche geschaffen, in denen Dynastien von Herrschern kamen und starben. Die Toten sind beigesetzt in einer Gruft unter der Krönungskirche, während die Lebenden im Prunk schwelgen.
In mehr als 5000 Briefen haben sich die beiden Künstler die Geschichten aus ihren Kleinstaaten Dyonien und Pelarien auf der gepriesenen Insel des Planeten Centus geschildert. Derart inspiriert wuchsen die Schlössern Pyrenz und Perenz mit ihren Heerscharen von Hofschranzen, die sämtlich einen Namen tragen und über Stammbäume verfügten.
Zu Beginn ihres kreativen Spieles lebten die Künstler in einer Zeit, in der ein Monat einem Jahr entsprach. Doch dann flog die zeit so schnell dahin, dass die Künstler gar nicht mehr nachkamen mit dem Erschaffen neuer Dynastien. So einige man sich darauf, die Zeit still stehen zu lassen.
Das ausgehende 18. Jahrhundert war aus Sicht der beiden Baumeister Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf ohnehin das Genialste und Solideste. Das beweise nicht zuletzt das Bad Arolser Residenzschloss, das alle Stürme bis heute unbeschadet überstanden habe. Ein moderner Zweckbau von heute könne keine 30 Jahre überdauern.
So leben die beiden Künstler in einer Kunstwelt. Hinter ihren Fassaden tun sich Innenräume auf mit Marmorböden, Spiegeln und Parkett, Stuck und Supraporten, Tapeten und Leuchtern. Feinste Gemälde, Skulpturen und Möbel "prunken" in gegenseitigem Wettstreit um die perfekte Illusion, doch alles existiert nur en miniature - im Maßstab l :50.
Mit sicherem Stilempfinden und hoher Kunstfertigkeit sind wunderbare Kleinstwelten des Rokoko und des ausgehenden 18. Jahrhunderts entstanden. Möbelstücke, nur wenige Zentimeter groß lassen sich mit der Pinzette öffnen. Die 97 Ölgemälde der Ahnengalerie sind alle echt, nur eben etwas klein geraten.
Es gibt keine realen Vorbilder für die Schlösser der gepriesenen Insel, sie sind nicht historisch und doch hat jedes Gebäude seine feste Geschichte und jedes Ding seine Bestimmung. Sie sind gebaut für Könige, die mit ihrem schrulligen Hofstaat die Räume beleben. Jede Figur hat ihren Namen, ihre Legende und ihren Stammbaum, aber sie darf nicht viel mehr als daumennagelgroß sein. Selbst Flohzangen gibt es und Zeitschriften, die allerdings nur mit der Lupe zu lesen sind. Die Schöpfer der gebauten Miniaturen sind der Restaurator Gerhard Bätz und der Bühnenbildner Manfred Kiedorf, die in ihren Schlössern ein imaginäres, barockes Hofleben inszenieren, das auch den Alltag der beiden Künstler durchdringt. Die Szenerien entstammen einer an Ideen und Sprachwitz reichen Phantasiewelt. Eine Idee davon vermittelt der umfangreiche und über Jahre gepflegte Briefwechsel zwischen ihnen, der selbst eine Ansammlung graphischer Kunstwerke ist. Im Jahr 1953 schlug die Geburtsstunde des "Prunks" - so tauften die Künstler ihren phantastischen Mikrokosmos, in dem zunächst aus einfachen Halmafiguren "belebte" Spielsteine entstanden. Diese verwandelten sich zu zweibeinigen Gestalten, die sich im Verlauf von 50 Jahren schließlich zu Pappmaché-Figuren von grenzenloser Perfektion entwickelten.
Die Herrscher wechselten und neue Gestalten traten hinzu: der Hofpoet Erich vom Sauerteige, der Narr Gregor Miesi Pedes, Finanzminister, Hofarchitekten, Dichter, Zuckerbäcker und Hofdamen. "Ein königlicher Befehl besagt, jeder männlichen Figur müsse wenigstens eine weibliche folgen." Ihren Ursprung haben die Schlösser der gepriesenen Insel in den gemeinsamen Kleinstadterlebnissen von Gerhard Bätz und Manfred Kiedorf im thüringischen Sonneberg, doch wachsen sie im wiedervereinten Deutschland weiter, ungeachtet biographischer Einschnitte und beruflicher Veränderungen - jetzt in Fulda und Berlin - bis heute.
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