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Kostbares Stück volkssprachiger Buchkunst
Von DR. KARL SCHILLING „Hie hebt sich an dy wibel vnd die karonik von erst wie got hymel vnd erd vnd allew dinckch beschuef vnd dar nach von allen heydenschen chunigien vnd kayseren vuntz di wunders vnd lanndez habent gestiftet vnd auch von allen pabsten waz di in irr zeit haben getan.“ Dieses Vorwort umreißt, was sich der mittelalterliche Schreiber alles vorgenommen hat: Er will die Bibel wiedergeben und eine komplette Chronik der Weltgeschichte vorlegen, angefangen mit der Schöpfung von Himmel und Erde durch Gott. Außerdem will er die Taten der „heidnischen“ Könige und der Kaiser ebenso schildern wie die der Päpste. Wer der tapfere Schreiber ist, weiß keiner. Nirgends hat er sich mit seinem Namen verewigt – was damals durchaus üblich war. Forscher rätseln auch, wo er sein Werk verfasst hat – bekannt ist nur, dass er einen Dialekt verwendet, der auf Bayern oder Österreich hindeutet. Aber der Name des wahrlich monumentalen Buches ist geläufig: Als „Arolser Weltchronik“ ist es in der Welt der Wissenschaft bekannt. Um nicht zu sagen: berühmt, denn diese um 1400 oder 1410 entstandene Handschrift zählt zu den bedeutendsten Geschichtswerken des Spätmittelalters. Kaum zu glauben, dass dieser Schatz über Jahrhunderte in Waldeck beheimatet war, sicher verwahrt in den Beständen des Grafen- und Fürstenhauses. Heute liegt er als Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Berliner Staatsbibliothek. Weltchronik editiert Wie im Januar berichtet, hat die Wissenschaftliche Buchgesellschaft eine hervorragend ausgestattete Edition der „Arolser Weltchronik“ im Großformat herausgebracht. Allerdings werden die Seiten nur in einer Auswahl wiedergegeben: Mit kommentierendem Anhang wären mehr als 1500 Seiten zusammengekommen, schätzen die beiden Herausgeber – der aus Mengeringhausen stammende und in Marburg lehrende Germanistik-Professor Jürgen Wolf und seine Kollegin Prof. Claudia Brinker-von der Heyde von der Kasseler Universität. Beide haben eine enge Bindung an die Hofbibliothek im Bad Arolser Schloss, in der das kostbare Werk bis 1927 lag. Wolf ist Geschäftsführer der „Gesellschaft der Freunde der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek“, beide Wissenschaftler haben wie berichtet ein Projekt geleitet zur Erforschung dieser Bibliothek als „Kultur- und Wissensraum vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert“. In dem neuen Buch ordnen die beiden die „Weltchronik“ in ihrer herausgehobenen Bedeutung ein. Nicht nur der Stoff ist gewaltig, auch der Umfang und die Ausstattung des Buches: Um die 330 Blätter teures Pergament hat der Schreiber gefüllt. Rund 50 mal 34 Zentimeter sind die Seiten groß – etwas mehr als eine Zeitungsseite. Jede Seite ist mit zwei Spalten Text gefüllt – rund 60 000 gereimte Verse kommen zusammen. Hinzu kommen 220 kolorierte Feder-zeichnungen, die offenbar alle aus der selben Werkstatt stammen. Auch wenn bei den Illustrationen keine Goldfarbe verwendet wird, ist die Ausstattung mit farbigen Initialen und den Zeichnungen überaus prächtig: Es ist ein repräsentativer Band. Eingebunden sind die Pergamentseiten in stabile Holzdeckel – daher auch der lateinsche Name Codex. Das Holz wiederum ist in hellgelbes Schweinsleder gehüllt, in das noch Ornamente eingeprägt worden sind. Die Kanten der vorderen und hinteren Buchdeckel sind mit jeweils vier kunstvoll verschnörkelten Messingbeschlägen versehen. Wie üblich, sind zudem zwei Leder-Schließen angebracht. Hoher Wert für die Grafen So kommen die Herausgeber zu dem Urteil, diese „ehemalige Arolser Handschrift“ gehöre „zu den kostbarsten Stücken volkssprachig-deutscher Buchkunst im Spätmittelalter“. Das Buch müsse für seine Besitzer „einen extrem hohen Stellenwert besessen haben“. Zum materiellen Wert komme noch der ideelle: „In der als Gesamtkunstwerk zu verstehenden Handschrift werden in Text und Bild gleichermaßen die göttliche Fügung die Heilsgeschichte und der eigene Standpunkt im göttlichen Schöpfungswerk dokumentiert. Es ist zugleich Erinnerung an die Geschehnisse der Vergangenheit wie Exempelbuch für den eigenen Weg in das Himmelreich.“ Davon zeugen schon die große Initiale auf der ersten Seite und der Text daneben und darunter: „Christ der her vber allew chraft vogt himelischer herschaft.“ „Offensichtlich schätzte man um 1400 den höfischen Glanz all der biblischen, antiken und mittelalterlichen Helden in der Grafschaft Waldeck sehr. Sie mussten nur entsprechend ,heilig‘ verpackt sein“, schreiben Wolf und Brinker-von der Heyde. Hohe Herstellungskosten Wie der in der Herstellung teure Codex nach Waldeck kam und wie hoch der Preis war, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Schon die Bereitstellung von Pergament und die künstlerische Ausstattung der Handschriften kosteten enorme Summen – um die zu Pergament verarbeiteten Häute für einen einzigen Codex zu erhalten, musste schon eine Herde Kühe oder Ziegen geschlachtet werden. Heute geht der Wert des prächtigen Buches in die Millionen. Es dürfte schon am Grafenhof besonders herausgestellt worden sein: „Die Pergamenthandschrift muss sehr früh als herausragendes Prachtstück für die höfische Repräsentation aus einem bairisch-österreichischen Skriptorium nach Waldeck gelangt sein“, denn sie tauche schon in den ersten Bücherverzeichnissen des Grafenhauses auf, halten die beiden Herausgeber fest. Sie halten es für möglich, dass die „bisweilen hoch gelehrten und an Geschichte interessierten Grafen“ das Werk selbst in Auftrag gegeben haben – in Frage kämen für sie Graf Adolph III. (1397 bis 1431) oder Heinrich VII. (1397 bis 1444). An ihrem Hofe herrschte offenbar ein reges geistig-kulturelles Leben. Gut, mit den reichen Kollegen des Hochadels konnten die Grafen angesichts ihrer relativ kleinen Herrschaft nicht mithalten. Die Thüringer Landgrafen auf der Wartburg oder die Zähringer im Breisgau sind als Mäzene bekannt, die reisende Sänger eine Zeit lang aufnahmen und Dichter von höfischer Epik beschäftigten. Der Bischof von Passau ließ um 1200 das Nibelungenlied niederschreiben. Am Waldecker Hofe wurden wenigstens Abschriften der berühmten Werke gelesen oder zumindest vorgetragen. Darauf deuten die spärlichen Überreste hin, die sich in Akten der gräflichen Kanzlei finden. Jürgen Wolf hat die Fragmente erforscht. Sein Ergebnis: „Es spricht vieles dafür, daß auch die Grafen von Waldeck im Mittelalter lange vor der Gründung der modernen Hofbibliothek im ausgehenden 16. Jahrhundert über ansehnliche Buchbestände verfügten. Zahlreiche Fragmente waldeckischer Herkunft von Ritterromanen, Minnelyrik, Rechtsspiegeln, Lehrbüchern, biblischen Texten, [...] lassen deutlich das Profil einer typischen Adelsbibliothek des 14. und 15. Jahrhunderts erahnen.“ Unter den Fragmenten finden sich „Beststeller“ des ausgehenden Mittelalters – ob der „Parzival“ und der „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach oder der „Lanzelot“-Stoff in einer niederländischen Fassung, ob Klassiker wie Heinrich von Veldekes „Eneas“-Roman oder ein „Waldecker Alexander-Roman“. Eine Kaiserchronik lässt sich nachweisen, Minnelyrik von Frauenlob und Reinmar von Zweter. Auch religiöse Werke Religiöse Schriften lassen darauf schließen, dass auch der rechte christliche Lebenswandel Thema von Gesprächen am gräflichen Hofe war. Weit verbreitete Heiligenlegenden etwa über Elisabeth von Thüringen trugen zur Erbauung bei. „In ein solches gleichsam hoch kulturell aufgeladenes Umfeld eines potentiellen ,Waldecker Musenhofes‘ würde sich die ,Arolser Weltchronik‘ sowohl inhaltlich wie chronologisch hervorragend einfügen“, urteilen die Herausgeber, denn sie spiegelt das Wissen einer gesamten damaligen Bibliothek wider: „Sie nimmt die biblischen Geschichten, das Leben Jesu, die Legenden der Heiligen sowie Berichte über die großen Feldherren und Ritterhelden Eneas, Kaiser Karl den Großen, Herzog Willehalm von Orange auf.“ Doch viele der alten Handschriften sind nicht überliefert, sie seien im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert fast vollständig aus der Grafenbibliothek „ausgesondert, vernichtet oder recycelt“ worden, schreiben die Herausgeber. So wurde das kostbare Pergament zerschnitten und als Briefumschlag, als Verstärkung von Buchdeckeln oder beim Einbinden von Büchern wiederverwendet. Als Gründe für die Vernichtung der Werke hat Jürgen Wolf schon 2002 im Buch über „Mengeringhausen im Mittelalter“ genannt:
Der Literaturgeschmack hat sich im Laufe der Zeit gewandelt – so wie sich heute manche Schüler von Goethe, Schiller oder der Schlegel-Übersetzung Shakespeares gequält fühlen, konnten spätere Leser mit der mittelhochdeutschen Sprache nichts mehr anfangen. Auch Themen kamen aus der Mode. „Offensichtlich passten die üblichen galanten, anzüglichen, im Fall des der Frau des Artus in ehebrecherischer Liebe zugetanen Lanzelots sogar gesellschaftszerstörenden Texte nicht in das gerade reformierte und von ebenso gelehrten wie streng religiösen Grafen regierte Waldeck“, erklären die Herausgeber. Vor allem Wolrad II., genannt „der Gelehrte“, und sein Enkel Christian (1585 bis 1637) von der Wildunger Linie hätten sich sehr ums geistliche Wohl ihres Landes gesorgt und „einen hohen moralischen wie sittlichen Standard“ vorgelebt. Zu Wolrads Zeiten habe denn wohl auch der „Kehraus der ,verdächtigen‘ mittelhochdeutschen Bücher mit Sex, Crime und Galanterie aus alter höfischer Zeit“ begonnen. Statt Ritterromantik sei das „christlich-heilige Rittertum“ gefragt gewesen. Aber auch altes „katholisches Zeugs“ wie Legenden oder Papst-Schriften und ein hebräisches Gebetsbuch wurden aussortiert. Sogar vor Martin Luther entstandene Bibelübersetzungen ins Deutsche oder lateinische und griechische Ausgaben verschwanden aus den Regalen. Zwei Werke überdauern Nur zwei volkssprachige Bände seien damals offenbar von der „großen Säuberungsaktion unberührt“ geblieben:
Dass sie die Jahrhunderte überdauert hat, ist für die Herausgeber zu erklären: Gerade für Wolrad sei sie „eine Anleitung zum perfekten Leben mit Eintrittskarte in den Himmel“ oder das Paradies gewesen. Da greift dann die Rezeptionsgeschichte zurück bis zur Entstehung der Chronik: „Schreiber, Maler, Auftraggeber sowie Besitzer, Leser und allgemein die Rezipienten haben sich im und durch das Buch Anteil am Göttlichen. Die Handschrift hat bibelersetzenden Charakter. Sie ist primär nacherzählte biblische Geschichte – gleichsam ein spannend erzähltes Altes Testament samt Fortsetzung. Was folgt, die Geschichte nach der Geburt Jesu, wird denn auch als konsequente Fortsetzung der Bibel inszeniert." So sei die Weltchronik „Bibel, Exempelsammlung und Erbauungsbuch“ in einem: „Wer sich den Lehren aufgeschlossen zeigt, die Sünde vermeidet und gottgefällig lebt, wird wie die Märtyrer und Ritterheiligen dereinst von den Engeln abgeholt und in den für die guten Menschen reservierten zehnten Chor der Engel geleitet.“ Und das galt eben auch nach der Reformation als erstrebenswert.
„Exempla“ für ein gottgefälliges Leben geben
Die wichtigsten Episoden aus der Bibel, ein paar Auszüge aus Ken Follets „Säulen der Erde“, Gustav Schwabs „Deutschen Heldensagen“ und Noah Gordons „Der Medicus“, ein bisschen „Sex and Crime“ aus den „Nibelungen“ und aus „Bunte“ und „Gala“, dazu ein paar Zitate aus Fischers „Weltgeschichte“ – und fertig ist die „Weltchronik“. Aber ist das Geschichtsschreibung? Selbstverständlich nicht, würden Historiker heute entrüstet urteilen. Aber im Mittelalter waren Fakten und Fiktion, nicht scharf getrennt. Und so durfte auch der Schreiber der „Arolser Weltchronik“ jenseits des biblischen Pflichtprogramms und der in bestehenden Chroniken überlieferten Fakten munter mischen, was ihm an Stoff aus der profanen Welt wichtig erschien. Und da war es egal, ob er Legenden, antike Mythen oder beliebte Ritterromane der Zeit „ausschlachtete“ – Hauptsache, er hatte eine spannende „Story“. Begriff der "Wahrheit" Geschichtswissenschaft heute will herausfinden, wie es früher war. Dazu werden die Quellen, also die Zeugnisse aus jeder Zeit kritisch hinterfragt. So etwas wäre im Mittelalter nicht denkbar gewesen. Für die damaligen Leser oder Hörer seien die Geschichten dennoch „Historia“ gewesen, betonten die Professoren Jürgen Wolf und Claudia Brinker-von der Heyde: „Geschichtsschreibung“ eben. Zum einen galt eine „Wahrheit“ als absolut: die Offenbarungen Gottes, dargelegt in der Bibel. Daran war nicht zu rütteln. Und da nur relativ wenige Menschen lesen und schreiben konnten und die Beschreibstoffe wie Pergament meist teuer waren, kam der Schriftlichkeit ein besonderer Respekt zu: Was geschrieben stand, galt für viele als „wahr“. Umso leichter hatten es übrigens Fälscher, eine Vielzahl von falschen Urkunden waren im Mittelalter im Umlauf. Und selbst die aus heutiger Sicht erfundenen Geschichten hatten ihren Funken „Wahrheit“: Die Geschichten galten als „Exemplum“, als Beispiel für ein christlich-gutes oder ein unchristlich-böses Leben. Diese Beispiele sollten nicht nur belehren, sondern auch erfreuen, um das Publikum zu binden. Damit zeige die „Arolser Weltchronik“ ein überraschend modernes Verständnis der Geschichte, wie es sich im Humanismus des ausgehenden 15. und frühen 16. Jahrhunderts herausbilde, schreiben die beiden Herausgeber – noch ein Grund, warum das Werk vor den Augen der reformatorischen Grafen Waldecks bestand und überlebte. Geschichte als Ausdruck göttlichen Wirkens – diese Betrachtung der Vergangenheit hat eine lange Tradition. So versteht sich auch die Bibel als eine Form der Geschichtsschreibung – das Alte Testament ist als Geschichte der Israeliten angelegt, denen der eine Gott Regeln vorgibt und sie leitet, straft oder beschützt. Wie selbstverständlich schildern die Bücher das Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte. Eingreifen der Götter Diese Darstellungsform ist in der Antike verbreitet. Auch Homers Epos „Ilias“ berichtet über Seiten von den Göttern, die sich mit den Menschen einlassen und sich im Olymp zanken – die einen unterstützen die Griechen, die anderen stehen aus Rache den Trojanern bei. Erst der griechische Geschichtsschreiber Thukydides brach mit dieser Tradition und führte eine neutrale, auf das menschliche Handeln beschränkte Sicht ein. Die Römer übernahmen dies in ihren Werken – von Cicero über Sallust und Tacitus bis Cassius Dio. Erst als in der Spätantike das Christentum zur römischen Staatsreligion erhoben wurde, griff der religiöse Primat wieder: Geschichte wurde als Heilsgeschichte von der biblischen Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht betrachtet, die Ereignisse der Weltgeschichte oder bekannte Persönlichkeiten wurden den Büchern der Bibel halbwegs chronologisch zugeordnet. So verfährt auch der Schreiber der „Arolser Weltchronik“. Formal greift auch er mit seinem Mammutwerk auf die spätrömische Kaiserzeit zurück, als die Chroniken neben die „Annales“ traten, die nach Jahren unterteilten Darstellungen. Zwei Autoren gelten als die Väter der christlichen Universalgeschichte: Eusebios von Caesarea (260 oder 264 bis 339 oder 340) und Hieronymus (347 bis 420). Ihre großen Chroniken bildeten die Grundlage aller weiteren des Mittelalters. Sie etablierten auch die christlich motivierte Einteilung der Weltgeschichte nach zwei Schemata. Auf den Theologen Augustinus geht die Einteilung der Geschichte in sieben Weltalter zurück, die „Aetates mundi“:
Nach den damals bekannten alttestamentarischen Visionen des Propheten Daniel gab es zudem vier Weltreiche, die nach seinen Träumen vier wilden Tieren entsprechen, die aus dem Meer aufsteigen:
Außerdem gab es das Bild einer Statue aus Ton, Bronze, Silber, Gold, bei der jede Schicht ein Weltreich symbolisierte. Da nach damaliger Vorstellung nach seinem Ende der Weltuntergang mit dem Jüngsten Gericht kommen würde und Rom im Sturm der Völkerwanderungen nunmal untergegangen war, wurde die Idee von der „Translatio Imperii“ verbreitet, der Übertragung des Reiches von den Römern auf den Frankenkönig Karl „den Großen“, auf den sich später das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ berief Die "Biwege" Auch der Schreiber der „Arolser Weltchronik“ folgt im Groben dieser klassischen Einteilung. Die Weltgeschichte vom griechischen Krieg gegen Troja über das Perserreich bis zu Kaiser Karl und den Kämpfen seiner Helden fügt er als „Bîwege“ hinzu, als „Beiwege“. Alexander greift er nur kurz auf. Außerdem greift er die theologische Einteilung in den „alten Bund“ Gottes mit den Israeliten und den durch Jesus begründeten „neuen Bund“ Gottes mit allen Menschen auf, die sich der christlichen Lehre zuwenden – der Chronist notiert „Alte Ee“ und „Neue Ee“, also „Ehe“. Diese Einteilungen blieben über Jahrhunderte bestehen, die heutige Dreiteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit ist eine „Erfindung“ des 19. Jahrhunderts. Und stets streiten sich die Historiker über die Abgrenzung der Epochen. Und auch die Zusammenstellung der Geschichten geschah lange ohne kritische Nachfragen. Auch in der Neuzeit begnügten sich Geschichtsschreiber damit, offensichtliche Widersprüche in den Quellen irgendwie auszugleichen. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand die moderne Geschichtswissenschaft, wie sie bis heute gepflegt wird. Dazu trug der Althistoriker Barthold Georg Niebuhr mit der philologisch-kritischen Methode zur Beurteilung von Quellen bei – er war übrigens mit dem Korbacher Diplomaten Christian Carl Josias Bunsen befreundet. Seitdem werden Quellen auf Stimmigkeit überprüft und mit anderen abgeglichen: Kann eine Aussage stimmen? Wer hat sie aus welchem Interesse heraus geschrieben oder in welchem Auftrag? Oder weitere Bezüge werden herangezogen, archäologische Befunde etwa. Oder Altersbestimmungen, die Urkundenfälschungen entlarven können. So kommt es, dass Quellen als unglaubwürdig verworfen werden. So etwas wäre im Mittelalter noch undenkbar gewesen. Galt doch die „göttliche Wahrheit“ als gegeben.
Literatur: © Mein Waldeck Waldeckische Landeszeitung 01. März 2014 © 2014 Waldecker-Münzen.de Die „Arolser Weltchronik“ ist im Dezember 2013 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt erschienen, sie ist 210 Seiten dick und bildet eine Auswahl der 300 Blätter des Originals ab. Texte erläutern den Inhalt. Sie ist zum Preis von 149 Euro im Buchhandel erhältlich – ISBN 978-3-534-25206-0. |